Die Wurzeln der Saurer M-Typen: Der Saurer 2M
Zwischen der technischen Entwicklung von Motorfahrzeugen und den Möglichkeiten ihres Einsatzes als Militärfahrzeug besteht eine Wechselbeziehung, deren Berücksichtigung für eine erfolgreiche Kriegsführung unerlässlich ist. Dieses Zusammenspiel wird illustriert anhand der Motorisierung der Artillerie, bei der ab 1940 das Pferd erfolgreich durch den Motorwagen abgelöst wurden.
Text: Marcel Zaugg
In den Dreissigerjahren konnten die Nachwehen des 1. Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise endlich überwunden werden. Es entstanden in dieser Zeit einige wegweisende Entwicklungen und technische Innovationnen. Gleichzeitig begann europaweit eine neue Welle der militärischen Aufrüstung. Die Motorisierung spielte dabei eine besondere Rolle. In diesem Kontext entstanden die ersten Motorfahrzeuge, welche von Grund auf für spezifisch militärische Bedürfnisse konzipiert waren - im Gegensatz zu den meisten früheren, mehr oder weniger von Zivilfahrzeugen abgeleiteten Konstruktionen (siehe Federblatt Nr. 26/Oktober 2001). Die Fahrzeugindustrien verschiedener Länder brachten in dieser Zeit zahlreiche geländegängige Fahrzeugkonstruktionen mit Allradantrieb hervor.
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Der fertiggestellte Prototyp vor den Werkshallen in Arbon. |
So entwickelte auch die Aktiengesellschaft Adolph Saurer in der zweiten Hälfte der 30er Jahre in Zusammenarbeit mit der Kriegstechnischen Abteilung des Eidgenössischen Militärdepartements (KTA) ein Militärfahrzeug, das sich an den ambitiösen Anforderungen der Schweizer Armee orientierte. Zwischen 1935 und 1943 war der Ingenieur Josef Birmans zuständig für die Entwicklung, Erprobung und Herstellung der Militärfahrzeuge.
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Das Chassis des Saurer 2M von hinten. |
Das Pflichtenheft der KTA war betreffend des Einsatzes der Geländefahrzeuge sehr umfassend: Die Fahrzeuge mussten für den Material– sowie Personentransport verwendbar sein. Eine schnelle Fortbewegung auf den Strassen und eine überdurchschnittliche Geländegängigkeit, Kletter– und Watfähigkeit wurde vorausgesetzt. Im weiteren müssen die Fahrzeuge schmale Strassen und Pässe im Gebirge passieren können. Dies war nur ein Auszug davon, was die KTA verlangte. 1935 entstand in Arbon ein in Bezug auf seinen Verwendungszweck einzigartiger Prototyp mit der Bezeichnung 2M. Bereits 1936 konnte das Fahrzeug am Automobilsalon in Genf präsentiert werden. Schon optisch hob sich der 2M durch die Anordnung der fünf Achsen von den anderen, damals üblichen Fahrzeugen, ab. Die Bedingungen, denen das Fahrzeug gerecht werden musste, erforderten eine Fahrwerkskonstruktion mit der etwas ungewohnten Anordnung von fünf Räderpaaren, bestehend aus drei angetriebenen und gefederten Achsen und zwei angetrieben aber ungefederten Hilfsachsen. Die Entwicklung stellte Herr Birmans und sein Team vor grosse technische Herausforderungen. Die innovativen Konstruktionslösungen führten zu zahlreichen Patenten. Die Konstruktion des Rahmens wich ab vom normalen, für Strassenfahrzeuge gebauten Chassis, indem dieser als Zentralrohrrahmen mit Brillenträger ausgebildet wurde. Der Patentanspruch für das Rückgrat des 2M wurde folgendermassen angemeldet: „Geschweisster kastenförmiger Rahmen für Kraftfahrzeuge mit angetriebenen, schwingenden Halbachsen, dadurch gekennzeichnet, dass der zentrale Radkörper an den die Antriebsgehäuse aufnehmenden Stellen nach oben und unten herumgezogen ist und dadurch eine Brille bildet, ohne Unterbrechung durchläuft und somit ein ununterbrochenes durchlaufendes Tragorgan bildet.“ (12.04.1937)
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Die Aufnahme zeigt den Saurer 2M während einer Versuchsfahrt im Gelände. Es ist sehr schön zu sehen, wie sich die einzelnen Räder dem Gelände anpassen. |
An den Brillen waren die angetriebenen Pendelachsen jeder Antriebsachse drehbar gelagert und mit je einem langen Querlenker verbunden. Diese Konstruktion hatte den Vorteil, dass die Räder die geforderte Spurweite von 1‘500 mm einhalten konnten. Die geringe Spurweite und der grosse Pendelweg der Räder, der aus der Mittellage beidseitig je circa 250 mm betrug, wird durch den zentralen, kardanlosen Antrieb ermöglicht. Jeder Querlenker war mit einem kurzen Längsdrehstab verbunden, der die Federung des Fahrzeuges übernahm. Im heutigen Jargon heisst das Einzelradaufhängung. Die geschlossene Ausführung des Rahmens und der Komponenten des Antriebs hatte weiter den Vorteil, dass er bei einem möglichen Aufsetzen im Gelände ohne Gefahr von Beschädigungen über Steine und andere Hindernisse wegrutschen konnte. So wurde die gewünschte Bodenfreiheit von 310 mm erreicht. Die Differenziale sorgten in der Kurvenfahrt für den Drehzahlausgleich der Räderpaare. Jedes Differenzial war mit einer Sperre ausgerüstet, die bei schlüpfrigem Gelände automatisch wirkte und das Durchdrehen des einzelnen Rades verhinderte. Zwischen dem Differenzial und dem Rad war eine starre Antriebswelle (Steckachse) montiert. Die Radantriebe waren alle gleich und konnten untereinander ausgetauscht werden. Die Radantriebe des 2M verfügten im Gegensatz zu den späteren Serienfahrzeugen über keine aussenliegenden Ritzelantriebe. Eine weitere Eigenheit des 2M waren die beiden Hilfsachsen. Das Räderpaar frontseitig war vom Fahrer aus ein- und ausschaltbar und diente als Stütz- und Kletterachse. Das Differenzial wurde gegen harte Geländehindernisse durch ein starkes Abdeckblech geschützt. Dies ermöglicht das Anfahren an einer Böschung. Das mittlere Räderpaar, das auch als Reserveräder diente, sass auf einer starren Achse und diente der Abstützung des Fahrzeuges bei kurzen, hohen Bodenerhebungen.
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Auch hier wird die Geländegängigkeit auf eindrückliche Weise gezeigt. |
Als Motorisierung wurde der Sechszylinder-Dieselmotor des Typs CTD mit 105 x 130 mm und 88 PS Leistung gewählt. Damit eine einwandfreie Schmierung des Motors in allen Stellungen des Fahrzeugs gewährleistet werden konnte, wurde eine Trockensumpfschmierung mit dreifach-Pumpe eingebaut. Auch ein Benzinmotor wurde angeboten. Das Drehmoment wurde über eine Trockenkupplung auf das Viergang-Schaltgetriebe mit angebautem Zusatz- und Verteilergetriebe übertragen. Die Schaltmuffen waren alle unsynchronisiert. Das Zusatzgetriebe war mit zwei Übersetzungen ausgerüstet, die vom Fahrer aus geschaltet werden konnten. So waren 4 Gänge auf der Strasse und 4 Gänge im Gelände schaltbar. Mit diesen verschiedenen Schaltstufen konnte der Fahrer die Geschwindigkeit der Strasse, dem Gelände und der Steigung anpassen. Das Eigengewicht des Chassis betrug 2‘700 Kg, die Nutzlast wurde zwischen 2‘000 und 3‘000 Kg angegeben. Die Fahrgeschwindigkeit des Fahrzeugs bewegte sich je nach gewähltem Gang zwischen 4 und 65 km/h. Bei trockenem Boden konnten Steigungen bis zu 65 % überwunden werden. Die Kletter- und Watfähigkeit betrug 80 - 100 cm, die Überschreitmöglichkeit von Gräben 1.8 Meter. Das Fahrzeug war ausserdem mit einem kräftigen Spillgetriebe ausgestattet, sodass es in der Lage war, schwere Lasten heranzuziehen oder sich aus einem nicht mehr befahrbaren Gelände selbst herauszuziehen.
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In diesem Moment hat der Fahrer sicher die Kletterachse eingeschaltet, damit das scheinbare Hindernis überwunden werden kann. |
Damit der Prototyp bei der KTA und der Truppe erprobt werden konnte, mussten noch einige Anpassungen vorgenommen werden. Eine Ladebrücke zum Transport von Personen und Material wurde montiert. Für den Fahrer und Beifahrer waren Sitze, Armaturen und eine Windschutzscheibe einzubauen. Ausserdem war eine ausreichende Beleuchtung und ein Zughaken zu installieren, damit die Truppe eine Kanone mitziehen konnte. Die Erprobung durch die Firma Saurer und die Armee dauerte insgesamt rund zwei Jahre. Gleichzeitig wurden die Komponenten zur Serienreife weiterentwickelt. Sämtliche Erkenntnisse der Ingenieure und Erfahrungen der Truppe flossen in weitere Prototypen und in die heute bekannten Typen 4M, 6M, 8M und später 4MH ein. Um die drei letztgenannten Typen möglichst rationell herstellen zu können, die Reparaturmethoden und Ersatzteilhaltung zu vereinfachen, haben die Konstrukteure viele Komponenten vereinheitlicht, namentlich:
- Felgen und Räder
- Differenziale
- Halbachsen
- Federung
- Bremsen
- Winkelhebelpaare
Demgegenüber wurden wo vorhanden Serienteile aus der Lastwagenproduktion oder solche mit geringen Änderungen für die Geländetypen verwendet, beispielsweise Motoren, Kupplungen und Getriebe. Dieser Artikel erhebt keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit der zeitlichen und konstruktiven Abfolge der Prototypenentwicklungen; er ist ein Versuch zur Rekonstruktion einer technisch geprägten und bewegten Epoche des Fahrzeugbaus.
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Mit innovativer Technik konnte man damals Werbung machen: Der 2M im Truppenversuch. |
Druckbare Version aus dem Federblatt 56:
pdf-Datei 3706kb