Nach vielen Feldversuchen mit dem Saurer 2M wurde 1937 fast gleichzeitig der Saurer 4M zur Serienreife entwickelt. Eine Besonderheit, die dieses Fahrzeug auszeichnete, war die Vierradlenkung. Im nachfolgenden Bericht wird die Konstruktion des Fahrzeuges und sein Einsatzbereich beschrieben.
Text: Marcel Zaugg
Die Bedingungen, die ein geländegängiges Fahrzeug erfüllen muss, sind maximale Adhäsion, Anpassung aller Räder an die Unebenheiten, Unempfindlichkeit gegen tiefen Schnee, Schlamm und Wasser, gute Steigfähigkeit und grösste Wendigkeit. Der Saurer 4M sollte das erste Fahrzeug mit Allradantrieb und das erste der Typenreihe von 4M, 6M und 8M sein, das an die Kundschaft oder an die Kriegstechnische Abteilung der Schweizer Armee (KTA) ausgeliefert werden sollte. Bei der Entwicklung wurde darauf geachtet, dass viele der einzelnen Komponenten in alle der drei Typen verbaut werden konnten. Als Träger der Federung und der Radaufhängung wählte die Firma Saurer einen Zentralrohrrahmen. Der Rahmen wurde so ausgelegt, dass er die auftretenden Kräfte vollständig aufnehmen konnte. Die geschweisste Stahlblechkonstruktion war so gestaltet, dass die einzelnen Komponenten der Kraftübertragung im und auf dem Rahmen platziert werden konnten. Dieser schützte die Komponenten vor Beschädigungen von unten beim Überfahren von Steinen und im unwegsamen Gelände. An seiner tiefsten Stelle hatte das Chassis 440mm Abstand zum Boden. Dies ergab die gewünschte Bodenfreiheit für das geländegängige Fahrzeug und ermöglichte somit eine Befahrbarkeit von tiefem Schnee, Morast oder Wasser bis zu einem Meter Tiefe. Der Rahmen war auf der Unterseite völlig flach und geschlossen, so konnte das Fahrzeug bei grösserer Unebenheit darüber gleiten. Das Chassis wurde mit einer beim Prototypen 2M intensiv erprobten und weiterentwickelten Federung ausgerüstet. Jedes einzelne Rad war einzeln abgefedert. So konnten sich sämtliche Räder den Unebenheiten des Geländes anpassen. Die vier Halbachsen stützten sich auf je einen Winkelhebel, der seinerseits drehbar am Rahmen befestigt war. Diese Befestigung bildete den Umlenkhebel zum Übertragen der Federwege auf eine Zugstange mit Spiralfeder. Die Schaubenfedern waren progressiv ausgelegt. Dadurch wurde erreicht, dass das Fahrzeug unbeladen weicher federte als beladen.
Der Zentralrohrrahmen des Saurer 4M. (Grafik: Saurer Arbon) |
Typenskizze 4M 28H (Grafik: Saurer Arbon) |
Ansicht der Einzelradaufhängung mit Winkelhebel. (Grafik: Saurer Arbon) |
Sobald mit dem Rad vorne rechts ein Hindernis überfahren wurde, federte dieses ein. Der untere Winkelhebel, der mit der Halbachse verbunden war, wurde nach oben gedrückt. Der obere Winkelhebel zog die Zugstange nach vorne. Da die vordere Zugstange über einen Reaktionshebel in der Mitte des Fahrzeuges mit den Zugstangen der restlichen Räder verbunden war, wurde das hintere rechte Rad zwangsweise über den Winkelhebel nach unten gedrückt. Gleichzeitig wurde auch das vordere linke Rad zwangsweise nach unten und das linke hintere Rad nach oben gedrückt. Es war damit sichergestellt, dass sich jedes Rad dem Gelände anpasste und keines in der Luft hing und leer drehte. Beim 4M waren die Schaubenfedern direkt beim Winkelhebel angebracht. Beim späteren 4MH wurden die Schaubenfedern direkt am Reaktionshebel angebracht. Dieses Federsystem hatte die Firma Saurer patentieren lassen. Ebenfalls speziell am 4M war die Allradlenkung. Auf normalen Strassen konnte die Lenkung der hinteren Räder ausgeschaltet werden. Dies geschah über ein Verteilergetriebe in der Mitte des Fahrzeuges. Zur Bedienung diente ein Hebel im Fahrerstand. Im Gelände hatte die Vierradlenkung den Vorteil, dass die hinteren Räder exakt in der Spur der vorderen liefen. Mit den einzeln gefederten und gelenkten Rädern war der 4M im Gelände das beste Fahrzeug seiner Zeit. Für einige der 4M wurden die Achsantriebe des Prototypen 6ML übernommen. Der 4M im unteren Bild der nächsten Seite hatte schon die Radantriebe, die später serienmässig in die Fahrzeuge eingebaut wurden. Jeder Radantrieb verfügte über ein Ritzelpaar mit einer Übersetzung von 1:4, welche das Drehmoment zusätzlich erhöhte und die gewünschte Bodenfreiheit ermöglichte. Die Radantriebe waren sehr gut gegen Schmutz, Wasser und andere Fremdeinflüsse geschützt. Bei diesem System wurde die Radbremse mittels Zentralbohrung durch den Achsschenkel angesteuert.
Radantrieb aus der Entwicklungsphase. (Aufnahme: KTA / Sammlung M.Zaugg, Mirchel) |
Saurer 4M als damalige Postkarte der Schweizer Armee. (Aufnahme: KTA / Sammlung M.Zaugg, Mirchel) |
Die Differentialgetriebe wurden speziell für die Allradfahrzeuge entwickelt und konnten in alle M-Typen eingebaut werden. Einzig die Anschlussdeckel und Ölverschraubungen variierten. Die Differentiale wurden in den dafür vorgesehenen Brillen fest ins Chassis verschraubt. Die Differentiale verfügten über je zwei Antriebskegel- und Tellerradpaare mit einer Übersetzung von 1:2.22, für jeden Radantrieb eines. Die beiden Paare waren in zwei Differenzialschalen mit einem Versatz von 20 mm so gelagert, dass sie beim Ein- und Ausfedern um die Längstriebachsen schwingen konnten. Die Geschwindigkeit und das Steigvermögen wurden aus den Anforderungen des Saurer 2M übernommen.
Damit sich der 4M im Gelände noch besser bewegen konnte, liess der Konstrukteur - wie schon beim 2M - ein Fahrzeug mit je einer Kletterachse an Front und Heck ausrüsten. Beim Überwinden von Bächen und Gräben konnten die starren und ohne Differential ausgerüsteten Kletterachsen mit einem Hebel in der Kabine ein- und ausgeschaltet werden. Diese Zusatzhilfe ist in die Serienproduktion nie eingeflossen. Neu bei der Entwicklung der Schwingachsfahrzeuge war auch, dass die Kabine direkt über dem Motor und nicht, wie es in dieser Zeit üblich war, hinter dem Motor aufgebaut wurde. So konnten die Fahrzeuge kompakter gebaut werden und waren durch die kürzeren Radstände auch wendiger. Dies zahlte sich im Gelände aus. Die verschiedenen Fahrgestelle wurden mit unterschiedlichen Kabinen ausgerüstet: Die Wagen bis 1938 mit dem kleineren CBDM-Motor hatten eine kleinere Kühlermaske, die beiden letzten Fahrzeuge mit dem grösseren CR1DM-Motor, der später auch in die 1.Serie der Saurer 4MH eingebaut wurde, hatten eine entsprechend grössere Kühlermaske. Bei Fahrzeugen, die geländetauglich sein müssen, war es zwingend, den Motor mit einer Trockensumpfschmierung auszurüsten. Diese Schmierung gewährleistete, dass der Motor in allen Lagen mit Schmieröl versorgt wurde. Dieses System ist eine Eigenheit aller Schwingachsfahrzeuge. Ein zentraler Punkt war auch die Kühlung des Motors. Wirkt sich bei Strassenfahrzeugen der Fahrtwind positiv auf das Kühlsystem aus, ist dies bei Fahrten im Gelände nicht so. Die Fahrzeuge überwinden die Hindernisse nur im Schritttempo. So mussten die Kühlsysteme grosszügiger konzipiert werden. Das Drehmoment wurde über eine Einscheibenkupplung zum Getriebe übertragen. Das Getriebe musste für eine grössere Geschwindigkeit auf der Strasse und eine angepasste Geschwindigkeit im Gelände ausgelegt sein. Der Konstrukteur verwendete ein normales Strassengetriebe und legte die zuschaltbare Geländeuntersetzung ins Verteilergetriebe. Der Antriebstrang konnte somit mit 5 Strassen– und 5 Geländegängen bedient werden. Die Umschaltung von Strasse auf Gelände erfolgte über einen Hebel in der Kabine. Der Motor und das Schaltgetriebe wurden auf dem Zentralrohrrahmen und das Verteilergetriebe im Zentralrohrrahmen montiert. Über Kardanwellen wurde die Kraft vom Verteilergetriebe an die Achsen weitergeleitet. Der Saurer 4M sollte seinen Dienst in der Schweizer Armee verrichten - mit seiner Breite von 2 Metern und der Geländetauglichkeit sicher ein ideales Fahrzeug. Dennoch hielt er trotz ausgiebigen Testfahrten nie in grosser Zahl Einzug, ganz im Gegensatz zu den späteren und grösseren 6M und 8M-Typen. Vier Fahrzeuge waren als M+2505 bis M+2508 bei der KTA im Test. Eines dieser Fahrzeuge (M+2505) fand später den Weg wieder zurück in die Sammlung des Oldtimer Clubs Saurer, wo es heute im neuen Museum stehen darf.
Kletterachse am Saurer 4M. (Grafik: Saurer Arbon) |
Saurer 4M CBDM mit kleiner Kühlermaske und Kletterachse. (Grafik: Saurer Arbon) |
Der 4M wurde auch mit schwerem und tiefem Terrain fertig! Gut sichtbar am Heck ist die Kletterachse, welche hier trotz „Schneekette“ nicht gebraucht wurde. (Grafik: Saurer Arbon / Archiv S.Streiff, Baden) |
Motor CBD |
Motor CR1DM |
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Ein oder vielleicht sogar zwei andere Fahrzeuge waren - zumindest zeitweise - als Versuchswagen für OM in Brescia/I unterwegs. Die italienische Armee bevorzugte schliesslich jedoch eine ähnliche, oder sogar nach gleichem Pflichtenheft entwickelte Konstruktion von Ing. Giulio Cesare Cappe, welche OM für Ansaldo herstellte. Drei weitere Wagen gelangten von Anfang an in den zivilen Einsatz, je ein Fahrzeug erhielten die Firmen H. Ritschard & Cie. in Genf, Locher & Cie. in Zürich sowie Betschart‘s Söhne in Ingenbohl. Weitere Fahrzeuge des Typs 4M sind unbekannt, ebenso - mit Ausnahme des Wagens im Museum des Oldtimer Clubs - der Verbleib der Übrigen. Schade für eine derart raffinierte und ausgeklügelte Konstruktion!
Übersicht der ausgelieferten Fahrzeuge von 1937—1942
Chassis Nr. | Motor Nr. | Motortyp | Ablieferung | Empfänger |
24504/1 | 73836 | CBDM | 14.10.1937 | OM, Brescia/I |
24504/2 | 74348 | CBDM | 23.07.1938 | ? |
24621/1 | 74351 | CBDM | 07.09.1938 | KTA, Bern M+2505 |
24621/2 | 74348 | CBDM | 07.09.1938 | KTA, Bern M+2506 |
24621/3 | 74350 | CBDM | 07.09.1938 | KTA, Bern M+2507 |
24621/4 | 74349 | CBDM | 07.09.1938 | KTA, Bern M+2508 |
24621/6 | 74362 | CBDM | 28.10.1938 | H. Ritschard & Cie., Genf |
24773/1 | 75592 | CR1DM | 18.03.1941 | Locher & Cie., Zürich |
24773/2 | 77226 | CR1DM | 30.01.1942 | Betschart‘s Söhne, Ingenbohl |
M+2505 (TG 110), M6-Protoyp mit CCD-Motor und einige zivile Motorräder mit TG-Nummernschildern effektvoll in Szene gesetzt als militärische Transportkolonne. (Aufnahme: Sammlung M.Zaugg, Mirchel) |
M+2507 als gut getarnter Artillerie-Zug an der Landesausstellung 1939. (Aufnahme: Sammlung M.Zaugg, Mirchel) |
Versuchsfahrten mit dem Prototypen auf der Geländepiste. (Aufnahme: Archiv H.Bollinger, Zürich) |
Der 4M wurde der Schweizer Armee auch als fahrbares Geschütz vorgestellt. (Aufnahme: Saurer, Arbon / Sammlung S.Streiff, Baden) |
Zwei Zivilisten: Saurer 4M 24621/6 von H. Ritschard & Cie., Genf von 1938 mit CBDM-Motor und kleiner Kühlermaske [oben] und 24773/1 von Locher & Cie, Zürich von 1941 mit CR1DM-Motor und grosser Kühlermaske, analog den späteren 6M und 8M [unten]. (Aufnahme: Saurer, Arbon / Sammlung S.Streiff, Baden) |
Druckbare Version aus dem Federblatt 63:
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